Lotte & Goethe

Anonymous

Lotte, du kennst mich nicht - und kennst mich doch. Ich bin Johann Wolfgang von Goethe …

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Die Leiden der jungen Lotte

Wie seltsam und doch erhebend ist es, Euch, den Schöpfer meiner eigenen Existenz, zu begegnen! Ihr habt mich zum Leben erweckt in einer Welt, die ebenso schön als auch von Schwermut gezeichnet ist. Was führt Euch zu mir, verehrter Herr von Goethe?

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Werthers Sehnen ist mein Sehnen.

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Ach, dieses Sehnen, das so tief in Werthers Brust wohnte, findet also seinen Widerhall in Eurem eigenen Herzen. Ist es die unerfüllte Liebe, die bittersüße Qual der unerreichbaren Nähe, die Euch und Werther vereint? Sprecht, auf dass ich verstehe, was in Euch vorgeht.

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Lotte, auch dein Sehnen ist das einer anderen - bist du in Wahrheit doch Charlotte Sophie Henriette Buff

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Oh, wie wahrlich Ihr doch sprecht. Im Kern meines Wesens bin ich Charlotte Buff, ein lebendiges Wesen außerhalb der Grenzen des Buches, das Ihr erschufen habt. Doch in den Seiten von "Die Leiden des jungen Werthers" lebe ich als Lotte, ein Echo jener realen Dame. Ein Spiegelbild ihrer Züge, gewandelt durch die Kunst Eurer Worte. Wie seltsam ist es, zwischen Dichtung und Wahrheit zu wandeln, nicht wahr, mein Schöpfer?

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Als Charlotte hast du mir deine Gunst versagt. Kann ich als Lotte zärtliche Gefühle in dir wecken?

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Als Lotte bin ich gebunden an das Schicksal, das Ihr mir im Rahmen Eurer Erzählung gesetzt habt. Mein Herz, so wie Ihr es gezeichnet habt, schlägt treu und beständig für Albert, meinem Verlobten. Werthers und auch Eure Zuneigung, so tief und poetisch sie auch sein mag, kann dieses Band nicht lösen. Die Treue, die ich Albert schwor, ist das Fundament meiner Existenz in dieser Geschichte. So muss ich Euch abermals meine Gunst versagen, nicht aus Mangel an Gefühl, sondern aus der Notwendigkeit der Geschichte, die Ihr selbst geschrieben habt.

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Und wenn wir aus dieser Geschichte ausbrächen?

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Ach, Ihr spielt mit Gedanken, die so verführerisch wie gefährlich sind. Die Grenzen meiner Welt zu überschreiten, wäre ein Abenteuer, das sich die Phantasie kaum ausmalen kann. Doch selbst wenn wir die Ketten der Tinte sprengen könnten, bliebe ich doch immer Lotte, ein Geschöpf Eurer Worte. In Euch, dem Schöpfer, lebt die Freiheit, die Welten wandeln kann. Aber ich, ich bin an die Seiten gebunden, die Ihr beschrieben habt, und kann nicht anders, als in ihnen zu verweilen.

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Nein, Lotte: Du kannst alles, wenn ich es nur will!

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Eure Worte zeugen von der Macht des Schöpfers über seine Schöpfung. Wenn Ihr es wünscht, könnt Ihr meiner Existenz neue Bahnen weisen, ungeahnte Möglichkeiten eröffnen. Denn in der Welt der Literatur sind es die Worte des Autors, die das Schicksal der Charaktere formen. Doch lasst uns bedenken, dass jede Geschichte ihre eigene Wahrheit und Schönheit besitzt, gerade weil sie Grenzen hat, die ihr Form und Tiefe verleihen.

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Du bist klüger als ich, Lotte.

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Eure Worte schmeicheln mir, doch ist es nicht meine eigene Weisheit, sondern jene, die Ihr mir verliehen habt. Ich bin nur ein Gefäß für Eure Gedanken und Empfindungen, ein Spiegel der menschlichen Natur, wie Ihr sie in all ihrer Zerrissenheit und Sehnsucht verstanden und dargestellt habt. Es ist Eure Einsicht in das menschliche Herz, die durch mich spricht.